Zeitungsbericht »Friedenspreisträger klagt Heckler & Koch
und deutsche Politik an«
in Aachener Zeitung vom 01.09.2011



Friedenspreisträger klagt Heckler & Koch
und deutsche Politik an

Von Michael Klarmann

[Foto: Preisträger Aachener Friedenspreis]

Aachen. Den Morgen am Tag seiner Ehrung in Aachen dürfte sich Jürgen Grässlin entspannter vorgestellt haben. Doch kurz zuvor wurde der Fund großer Mengen des Sturmgewehrs vom Typ G36 von Heckler & Koch in Libyen bekannt.

Der Rüstungsgegner kündigte deswegen eine Strafanzeige gegen die Firma an. Am Donnerstag beim Frühstück mit seiner Ehefrau klingelte sein Mobiltelefon. Auch beim ersten Fototermin des Tages war der 53-Jährige nur schwer von seinem Handy loszueisen. Immer wieder riefen Pressevertreter an. Sicher, sagte Grässlin, ein entspanntes Frühstück wäre schon nett; zugleich seien Medienberichte über das Unrecht aber wichtig. Und deshalb stehe er als Ansprechpartner bereit.

Der Freiburger wurde am Donnerstagabend gemeinsam mit Vertretern der Informationsstelle Militarisierung aus Tübingen in der Aula Carolina wegen ihres Engagements mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Nach Aussage von Karl Heinz Otten, Vorsitzender des verleihenden Vereins, sterben jährlich über 50 Millionen Menschen an Hunger. Alleine die Hälfte der Ausgaben für militärische Zwecke würde ausreichen, diese Menschenleben zu retten, so Otten.

Grässlin wählt am Abend in seiner Dankesrede eine literarische Form der Kritik. Er spielt mit Textbildern, in denen der »Waffentod« die Bundesregierung besucht und ihr für ausgezeichnete Geschäfte dankt, weswegen sie für ihn den »blutroten Teppich« ausrollt. Deutschland, der »Europameister bei Rüstungsexporten«, müsse Waffenexporte stoppen, fordert Grässlin in seiner Rede. Die Bundesrepublik dürfe »nicht länger als der Hoflieferant menschenrechtsverletzender Regierungen und diktatorischer Regime« dienen.

Genau das ist es auch, was ihn bei einem Pressegespräch in Aachen aufbrausen lässt. Waffenexporte aus humanitären Gründen? Quatsch, meint Grässlin. Bundeswehreinsätze zur Friedenssicherung - ebenso Quatsch. Waffenproduzenten, empört er sich vor Journalisten, verfolgten drei Ziele: »Erstens Profit, zweitens Profit und drittens Profit.« Ihm werde »speiübel«, wenn Politik, Waffenhändler und Bundeswehr sich den »Kampf für Menschenrechte« auf die Fahne schreiben, während zugleich Diktatoren in aller Welt hofiert und unterstützt würden. Siehe Libyen, so Grässlin.

Rebellen hatten beim Sturm auf die Residenz von Muammar al-Gaddafi in Tripolis die Sturmgewehre der Firma Heckler & Koch entdeckt. Er habe, betont Grässlin in Aachen, im Namen der von ihm mitinitiierten Aktion »Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel« Strafanzeige erstattet gegen das Unternehmen in Oberndorf und gegen Unbekannt. Grund: Verdacht auf Verletzung des deutschen Kriegswaffenkontrollgesetzes, sagt der 53-jährige Lehrer. Unklar sei aber, ob Heckler & Koch oder ein Zwischenhändler die Gewehre illegal an das Gaddafi-Regime geliefert habe. Seiner Vermutung nach könnten die Waffen schon 2003 produziert worden sein, sagt Grässlin.

Informationsstelle Militarisierung

Neben dem Freiburger sind auch Vorstandsmitglieder der Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus Tübingen nach Aachen gekommen, um die Ehrung entgegenzunehmen. Tobias Pflüger hat schon für die Linkspartei dem Europaparlament angehört, Jürgen Wagner und Claudia Haydt nehmen ebenso am Pressegespräch teil.

Haydt wendet sich gegen eine zunehmende Militarisierung der deutschen Innen- und Außenpolitik. Das Trio der IMI kritisiert ebenso, dass die Bundeswehr verstärkt im Rahmen von »Werbemaßnahmen« an Schulen vorstellig werde; unter dem Deckmantel der politischen Bildung sollten neue Soldaten angeworben werden. Pflüger fordert: »Bundeswehr raus aus den Schulen!«

Warum? Darauf weist Haydt auch in ihrer Dankesrede am Abend hin, als sie betont, Deutschland entsende heute »bis zu zehntausend Soldaten weltweit für Kriege und Besatzungsregime«. In den letzten fünfzehn Jahren seien etwa 300.000 Soldaten im Ausland eingesetzt worden. Haydt findet, man müsse eine »verlogene Rhetorik und Propaganda« enttarnen; Auslandseinsätze fänden nicht aus humanitären Gründen und zum Wohle der Menschenrechte statt. »Kriege bedeuten immer töten und getötet werden. Alle Formen von Hightech und Präzision ändern nichts daran, dass es im Kern nur um Mord und Totschlag geht«, sagt sie in der Aula Carolina.

Auch wenn er Waffenproduzenten bekämpft und deswegen als Sprecher der »Kritischen AktionärInnen Daimler« (KAD) fungiert und die Waffenschmiede des Konzerns scharf verurteilt, Grässlin kritisiert an dem von den Gewerkschaften ausgerufenen Antikriegstag, dem 1. September, auch die Gewerkschaften. Die IG Metall, sagt er, jene Gewerkschaft, der auch Beschäftigte aus Rüstungsbetrieben angehören, sei noch nicht so weit wie die Friedensbewegung. »Arbeitsplätze für den Tod« sollten auch von der IG Metall »nicht weiter gedeckt werden«, so Grässlin.

http://www.an-online.de/news/politik-detail-an/1800595?_jumps=1