Bericht »Schrempps Rücktritt kann
noch teuer werden«
in Handelsblatt vom 06.09.2005


Zu Artikel zu Jürgen E. Schrempp




Schrempps Rücktritt kann noch teuer werden

Von Daniel Schnettler

Dass Jürgen Schrempp als Daimler-Chrysler-Chef zurücktreten würde, wussten nach ersten Erkenntnissen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und der Staatsanwaltschaft mehr Menschen als nötig. Demnach hätte der Konzern schon frühzeitig eine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben müssen. Weil er das versäumt hat, droht eine Flut von Aktionärsklagen.

DÜSSELDORF. Viele ehemalige Daimler-Aktionäre dürften in den nächsten Tagen einen Blick ins Wertpapierhandelsgesetz werfen, dort besonders auf den Paragraphen 37b. Was sie dort lesen, könnte bares Geld wert sein:

Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten ... unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen ... ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte ... die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.

Für den vorliegenden Fall würde das bedeuten: Weil Daimler-Chrysler nicht frühzeitig bekannt gegeben hat, dass Schrempp zurücktritt, haben etliche Aktionäre ihre Papiere schon vorher zu niedrigen Kursen verkauft. Dadurch verfehlten sie den Kurssprung am 28.7., dem Tag der Bekanntgabe des Rücktritts, als die Aktie binnen kürzester Zeit um rund 10 Prozent zulegte. Den entgangenen Gewinn könnten sich die Ex-Anteilseigner nun vor Gericht beschaffen.

»Wenn Bafin und Staatsanwaltschaft endgültig feststellen, dass Daimler-Chrysler den Rücktritt zu spät publik gemacht hat, stehen die Chancen auf Schadenersatz nicht schlecht«, sagt Professor Gerald Spindler, Kapitalmarktexperte von der Universität Göttingen. Allerdings seien die Zivilgerichte, vor denen die Anleger ihr Geld erstreiten müssten, nicht an die Beurteilung von Börsenaufsicht und Strafverfolgern gebunden. »Es erleichtert die Sache aber ungemein, wenn die Beweise staatlich gesichert wurden.«

Indizien, dass der Abgang von langer Hand geplant gewesen war, gibt es zuhauf. Schrempp hatte nach seinem Rücktritt in einem Interview mit dem Magazin »Focus« gesagt: »Ich habe darüber schon seit einiger Zeit mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper gesprochen«. Die »Stuttgarter Nachrichten« zitierten aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft, in dem es heißt, die internen Informationen über Schrempps Rücktritt hätten sich bereits bis zu fünf Wochen vor der Bekanntgabe »verdichtet«. Und der Sprecher des Verbandes kritischer Daimler-Aktionäre, Jürgen Grässlin versicherte, er habe bereits zwölf Tage vor der offiziellen Meldung über den Führungswechsel Informationen darüber erhalten.

Das alles spricht dafür, dass Daimler schon Tage, wenn nicht gar Wochen vor der tatsächlichen Mitteilung hätte reagieren müssen. Doch es gibt für Daimler-Chrysler ein Schlupfloch. Das Zauberwort heißt »berechtigtes Interesse“. Existiert ein solches, hätte der Konzern die Ad-hoc-Mitteilung ganz legal aufschieben können. »Wenn etwa die Konditionen für den Rücktritt von Herrn Schrempp noch nicht feststanden, kann das ein Grund sein«, sagt Jurist Spindler. Ein weiterer kann sein, dass der Aufsichtsrat dem Ansinnen noch nicht zugestimmt hatte. Dies geschah bei Daimler-Chrysler erst kurz vor der Bekanntgabe von Schrempps Ausscheiden. Insofern alles kein Problem.

Selbstverständlich dürfen bei einer Aufschiebung aber keine Informationen vorzeitig nach Außen dringen. Und das passierte offenbar.

Daimler-Chrysler scheint also schlechte Karten für etwaige Gerichtsverhandlungen zu haben. Doch auch die geprellten Aktionäre sollten sich nicht zu früh freuen. Abgesehen davon, dass kein Richter der Argumentation von Bafin und Staatsanwaltschaft folgen muss, birgt auch die Berechnung der Höhe des Schadenersatzes einiges an Unsicherheit. »Die Frage ist doch: Wie wäre der Kurs gewesen, wenn Daimler-Chrysler rechtzeitig publiziert hätte«, erläutert Professor Spindler das Problem. Ein Indiz dafür könne der tatsächliche Kurs direkt nach Schrempps Rücktritt sein.

Den Höchstkurs von beinahe 43 Euro ein paar Tage später wird also kein Anleger als Maß der Dinge heranziehen können. Weniger als 40 Euro sind da schon eher realistisch. Und von dem Wert geht vielleicht sogar noch was ab. Laut Spindler ist im Zusammenhang mit dem Wertpapierhandelsgesetz noch nicht endgültig geklärt, ob generelle Markteffekte herausgerechnet werden müssen, etwa ein Anstieg des Dax. Auch müsste das Gericht noch festlegen, wann die Ad hoc hätte herausgehen müssen, um den Kreis der Berechtigten festzulegen. Doch selbst im besten Falle würde es für Daimler-Chrysler teuer. Die Aktie wird täglich millionenfach gehandelt.