Zeitungsinterview »‘Das ist Beihilfe zum Mord‘ BZ-INTERVIEW:
Jürgen Grässlin über deutsche Waffenexporte
und die politische Verantwortlichkeit«
in Badische Zeitung vom 08.11.2016



»Das ist Beihilfe zum Mord«

BZ-INTERVIEW: Jürgen Grässlin über deutsche Waffenexporte und die politische Verantwortlichkeit.

[Foto] Jürgen Grässlin Foto: Kuhn

OFFENBURG. Der in Freiburg lebende Jürgen Grässlin ist Deutschlands prominentester Rüstungskritiker. Für die von ihm mitverantwortete TV-Dokumentation »Tödliche Exporte« um illegale Waffenlieferungen von Heckler & Koch gab es den Grimme-Preis 2016, im Dezember erhält er den Stuttgarter Friedenspreis. An diesem Dienstag spricht er in Offenburg. Unser Mitarbeiter Robert Ullmann hatte ihn am Telefon.

BZ: Der Titel Ihres Vortrags lautet »Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten«. Ist die Formel tatsächlich so einfach?

Grässlin: In bestimmten Fällen ist sie so einfach, in anderen nicht. Deutschland liefert seit Jahren Waffen in den Nahen Osten und den Maghreb, wo Menschenrechte verletzende Regime an der Macht sind. Das hat Tradition, denkt man an die Waffenexporte in den 1980er und 1990er Jahren an die türkische Armee. Das ging soweit, dass Waffen der in Oberndorf am Neckar ansässigen Firma Heckler & Koch in Ankara in Lizenz gefertigt wurden und werden.

BZ: Nun liefert ja nicht nur Deutschland.

Grässlin: Nein. Von Kriegswaffenexporten profitieren auch Briten, Franzosen, Amerikaner, Russen und andere. Russland versorgt das Assad-Regime, die USA versorgen die Aufständischen. Bezüglich der Waffen wütet in Syrien ein Stellvertreterkrieg.

BZ: Aber Regime – wie Saudi-Arabien – sind Verbündete der Nato und damit auch unsere Verbündeten?

Grässlin: Deshalb spricht man nicht von Waffenlieferungen an demokratische Systeme, sondern an »befreundete Staaten«. Das Regime in Saudi-Arabien setzt diese Waffen teils gegen die eigene Bevölkerung ein, gegen demokratische Bestrebungen. In Riad herrscht ein wahhabitisches Regime mit Kontakten zum IS, zu Boko Haram, zu Al Quaida. Es führt mit seiner Militärkoalition einen Krieg im Jemen, in dem deutsche Waffen eingesetzt werden. Bomben werden zum Beispiel von Rheinmetall auf Sardinien gefertigt, um die deutschen Gesetze zu umgehen. Es waren auch deutsche Bomben, die vor einem Monat auf einer Trauerfeier in Sanaa 140 Zivilisten töteten.

BZ: Warum erhält Saudi-Arabien überhaupt diese Waffen? Viele dieser Regime investieren ja in die deutsche, europäische und US-Industrie.

Grässlin: Es wäre schon ein Schritt in Richtung Ehrlichkeit, wenn die Bundesrepublik klar sagen würde, dass wirtschaftliche Interessen über Menschenrechte gehen. Waffen in den arabischen Staaten werden auch gegen Christen eingesetzt. Wer in diesen Ländern vom Islam zum Christentum übertritt, wird exekutiert. Trotzdem genehmigt der Bundessicherheitsrat, der über Waffenlieferungen entscheidet, seit Jahren Lieferungen in Länder mit Christenverfolgung.

Grässlin: Weshalb setzen Sie sich so engagiert ein?

BZ: Bei meinen Besuchen in Krisengebieten spreche ich vielfach mit den Menschen, die durch deutsche Waffen verstümmelt wurden oder Angehörige verloren haben. Wenn Sie im Taurus-Gebirge Bilder von unterschiedlichen Gewehren vorzeigen, deuten die Opfer am häufigsten auf das Sturmgewehr G 3 von Heckler & Koch. Man lernt die Menschen persönlich kennen. Ihre Schicksale machen betroffen im Wissen, dass die Bundesregierung viele dieser Schicksale mit verursacht hat.

BZ: Welche Rolle spielt der Bundessicherheitsrat?

Grässlin: Vor der Wahl hat Herr Gabriel, SPD, versprochen, die Waffenexporte einzuschränken. Tatsächlich sind die Genehmigungen von 2014 auf 2015 gestiegen, von 6,5 Milliarden Euro auf 12,8 Milliarden Euro. Verantwortlich für besonders brisante Rüstungsexporte ist der geheim tagende Bundessicherheitsrat mit Kanzlerin Angela Merkel, Herrn Gabriel und Herrn Schäuble aus Offenburg. Sie leisten durch ihre Exportgenehmigungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten Beihilfe zum Mord.

BZ: Sie haben für die Dokumentation »Tödliche Exporte« den Grimme-Preis erhalten. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Sie – weil Sie gerichtswichtige Dokumente öffentlich gemacht haben. Nervt einen so etwas nicht?

Grässlin: Hier zeigt sich, dass wir nicht nur gegen Politik und Waffenindustrie kämpfen. Statt Rückenwind gibt es von der Staatsanwaltschaft Stuttgart massiv Gegenwind. 2011 gründeten wir die »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« als Gegenlobby zur Rüstungslobby. Ihr gehören mittlerweile 140 Organisationen an. Man muss immer wieder bohren und offenlegen, wo illegal Waffengeschäfte gemacht werden, und wo mit legal gehandelten Waffen Unrecht unterstützt wird.


Heute, Dienstag, 8. November, 19.30 Uhr, spricht Jürgen Grässlin auf Einladung des ökumenischen Arbeitskreises Asyl und der Deutschen Friedensgesellschaft im Evangelischen Gemeindesaal in der Poststraße 16, Offenburg.

Jürgen Grässlin

Jürgen Grässlin ist 1957 in Lörrach geboren. Er engagiert sich seit 1983 gegen Waffentransfers von Heckler & Koch und anderen Rüstungsfirmen. 2010 erstatte er Anzeige gegen Heckler & Koch wegen illegaler Waffentransfers. Die TV-Doku über diese Geschäfte wurde mit dem Grimme-Preis 2016 ausgezeichnet. Grässlin hat diverse Bücher über das Thema Waffenhandel verfasst und wurde mehrfach für sein Engagement ausgezeichnet. Er arbeitet und lebt als Lehrer in Freiburg.

http://www.badische-zeitung.de/offenburg/das-ist-beihilfe-zum-mord--129548209.htm