Rede von JG »Wahlprüfsteine der Friedensbewegung
zur Bundestagswahl am 27.09.2009«
am Antikriegstag 2009 auf dem Rathausplatz Freiburg
anlässlich des Wahlkampfauftritts
des Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine



Wahlprüfsteine der Friedensbewegung
zur Bundestagswahl am 27.09.2009

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

heute spreche ich zu Ihnen als eine Stimme aus der Friedensbewegung. Ich bin kein Mitglied einer politischen Partei, jedoch politisch aktiv als Bundessprecher- bzw. Vorsitzender mehrerer Friedensorganisationen, darunter die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) – der größte pazifistische Friedensverband in Deutschland – und das RüstungsInformationsBüro hier in Freiburg. Das RIB e.V. verfügt über das größte Archiv der Friedensbewegung zu Waffenexporten und organisiert Kampagnen gegen Rüstungskonzerne.

In der Präambel unserer Verfassung heißt es: Deutschland sollte »dem Frieden in der Welt dienen«. Die Bundesregierung stellt sich gerne in diesem Licht dar, die Realität aber sieht anders aus: In Deutschland sind noch immer Atomwaffen stationiert, Deutschland führt Krieg in Afghanistan, Deutschland ist Europameister bei Waffenexporten.

Vier Wochen vor der Bundestagswahl will ich deshalb drei zentrale friedenspolitische Wahlprüfsteine aus der Friedensbewegung mit konkreten Forderungen verbinden:

Wahlprüfstein Nummer 1:
Abschaffung aller Atomwaffen auf deutschem Boden

Die Gefährlichkeit von Atomwaffen kennt die Welt spätestens seit den Atombombenabwürfen der US-Luftwaffe im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki. In den beiden ersten Wochen danach kamen mehr als 100.000 Menschen ums Leben, bis Ende des Jahres weitere 140.000, Abertausende in den Jahren danach.

Im Juli 1996 hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag die »Androhung von Gewalt mittels Atomwaffen« als »unrechtmäßig« erklärt. Dennoch lagert die US-Army bis zum heutigen Tag Atomwaffen in Deutschland. Auf dem Flugplatz Büchel in Rheinland-Pfalz sind rund 20 US-Atomwaffen des Typs B-61 deponiert. Jede von ihnen verfügt über eine Sprengkraft, die dem 26-fachen der Hiroshima-Bombe entspricht. Ihr Einsatz wird im Kriegsfall vom US-Präsidenten freigegeben. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe üben Piloten der Bundeswehr den Atomwaffeneinsatz mit Tornado-Jagdbombern.

Die Friedensbewegung fordert von allen politischen Parteien:
[] Unterstützen Sie den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland!
[] Atomwaffen müssen allesamt weltweit verschrottet werden!

Und lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine weitere politische Forderung aufstellen:

[] Setzen Sie sich auch aktiv den sofortigen Ausstieg aus der Nutzung der so genannten »friedlichen« Nutzung der Atomkraft ein. Denn Atomkraftwerke sind tickende Zeitbomben. Die Alternative liegt in den regenerativen Energiequellen Wind, Wasser und Sonne!

Wahlprüfstein Nummer 2:
Stopp aller Auslandseinsätze der Bundeswehr

Bis 1956 enthielt die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland keinerlei militärische Doktrin. Mit der Einfügung des Artikel 87a wurde der Grundstock für die Remilitarisierung Deutschlands gelegt: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf«. Diese dürfen »außer zur Verteidigung« nur dann »eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt«.

Unter Bruch des Grundgesetzes wandelte Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die Bundeswehr schrittweise von einer Verteidigungs- zur Interventionsarmee um. Unter dem Deckmantel »humanitärer Interventionen« wurde die Bundeswehr außerhalb des NATO-Territoriums eingesetzt.

Mit den rechtswidrigen Out-of-Area-Einsätzen im Persischen Golf, in Kambodscha, im ehemaligen Jugoslawien und in Somalia schuf die liberal-konservative Bundesregierung ab 1991 Sachzwänge. Die Legitimation erfolgte 1994 durch das umstrittene Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts.

Mit den Stimmen der Rot-Grünen-Bundesregierung – wohlgemerkt gegen zahlreiche Stimmen der eigenen Parteibasis – legitimierte der Deutsche Bundestag den Kosovo-Kampfeinsatz und damit einen grundgesetz- wie völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat. Tausende Menschen starben bei der Bombardierung serbischer Städte durch NATO-Truppen.

Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 nutzte die NATO zur Legitimation des so genannten »Kriegs gegen den Terror«. Mit der Behauptung, die deutsche Sicherheit werde »auch am Hindukusch verteidigt«, rechtfertigte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), die 2001 vom Deutschen Bundestag beschlossene Kriegsunterstützung.

Die damalige Bundesregierung unterstützte zudem indirekt den Krieg der US-geführten Interventionstruppen 2003 gegen den Irak.

Heute kommen Krisenreaktionskräfte und des Kommando Spezialkräfte juristisch wie geografisch grenzenlos zum Einsatz. Mehr als 7300 deutsche Soldaten deutsche Interessen im Golf von Aden, am Horn von Afrika, in Afghanistan und in vielen weiteren Kriegs- und Krisengebieten.

Statt das im Krieg und Bürgerkrieg zerstörte Afghanistan wieder aufzubauen, erschießen deutsche Soldaten Taliban und friedliebende Menschen.

Etwa ein Drittel der zivilen Opfer kommt durch Kampfeinsätze der NATO-Truppen ums Leben. Die Bundesregierung hat keinerlei sinnvolle Option für ein Ende des Afghanistan-Kriegs.

Aus der Erfahrung dieser Entwicklung fordert die Friedensbewegung von allen politischen Parteien:

[] Krieg darf kein Mittel der Außenpolitik sein. Konflikte müssen zivil gelöst werden. Die Bundeswehr muss Afghanistan verlassen!
[] Deutschland muss sich ausschließlich am zivilen Wiederaufbau Afghanistans engagieren und damit die Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung bereiten!

Wahlprüfstein Nummer 3: Drastische Senkung
des Rüstungshaushalts und Stopp aller Rüstungsexporte

Dank einer überaus großzügigen Exortförderungspolitik der Bundesregierung laufen die Waffengeschäfte in Zeiten allgemeiner Rezession wie geschmiert. Deutschland hat sich auf dem unrühmlichen Platz 3 der Weltwaffenexporteure etabliert.

Die deutschen Rüstungsausfuhren stiegen in den letzten fünf Jahren um rund 70 Prozent. Der Weltmarktanteil am Waffenhandel konnte von sieben auf zehn Prozent ausgebaut werden.

Zu den »Verkaufsschlagern« zählen Panzer vom Typ Leopard-2A4, teilweise im Ausland in Lizenz gefertigte deutsche U-Boote des Typs 214, in Kooperationen produzierte Kampfhubschrauber, Militärjets, Tankflugzeuge und Drohnen sowie Sturmgewehre des Typs G36.

Die Daimler AG ist mit 22,5 Prozent der Stimmanteile führender Anteilseigner der European Aeronautics Defence and Space Company (EADS). Daimler/EADS ist weltweit der siebtgrößte Rüstungskonzern. Das Unternehmen ist führend bei der Produktion und dem Export von Militärhubschraubern und Kampfflugzeugen.

Im aktuellen Geschäftsbericht feiert die EADS ihre Verkaufserfolge: »Selbst in Krisenzeiten besteht in unserer sich wandelnden Welt stetiger Bedarf an Flugzeugen, Verteidigungs- und Sicherheitssystemen…«

Die EADS-Tochter Eurocopter lieferte 2008 »mehr Hubschrauber als je zuvor« aus und kann »in einem unsicheren Marktumfeld ein volles Auftragsbuch vorweisen«. Der militärische Markt werde »weiter an Bedeutung gewinnen«.

Die EADS-Sparte Astrium produziert die neue Generation ballistischer Rakete vom Typ M51 für die französische U-Boot-Flotte. Damit ist die EADS das einzige europäische Unternehmen, das Trägersysteme für atomare Gefechtsköpfe fertigt. Zudem ist die EADS als einziger europäischer Hersteller in der Lage, Drohnen herzustellen. Exporte erfolgten für französische und US-amerikanische Drohnenprogramme.

Dass die USA Drohnen im Afghanistan-Krieg einsetzen, ist weithin bekannt. Zu den Empfängerländern von Daimler/EADS-Waffen zählen zudem die Streitkräfte Großbritanniens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens u.v.a.m.

Was die Stuttgarter Daimler AG in der Fertigung von Großwaffensystemen ist, das ist die Heckler & Koch GmbH (H&K) bei den so genannten »Kleinwaffen«: Marktführer in Deutschland. Angesichts von derzeit rund 40 tobenden Kriegen und Bürgerkriegen avancierte Heckler & Koch sogar zum größten europäischen Pistolen- und Gewehrhersteller.

Allein die Zahl der durch H&K-Waffen Getöteten beläuft sich seit der Firmengründung 1949 auf rund zwei Millionen Menschen, berechnet auf einem erhöhten Weltmarktanteil von 12 Prozent. Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine Kugel aus einer H&K-Waffe. Damit ist Heckler & Koch Deutschlands tödlichstes Unternehmen.

Der Jahresumsatz des Oberndorfer Unternehmens ist im Geschäftsjahr 2008 um 25 Prozent auf die Rekordsumme von 185,7 Millionen Euro angewachsen. Durch Waffenverkäufe konnte der Nettogewinn auf 12,8 Millionen Euro verdoppelt werden.

Mehr und mehr entpuppt sich das Sturmgewehr G36, Standardwaffe der Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr, als weltweiter Verkaufsschlager.

Dank Lizenzvergaben, Direktexporten und illegalen Exporten schießen Polizeien, Präsidentenwachen und militärische Spezialeinheiten in mehr als 35 Staaten mit den unterschiedlichen G36-Typen, beispielsweise in Brasilien, Großbritannien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, den Philippinen, Singapur, Thailand und den USA. Der illegale G36-Export in das Kriegsland Georgien ist offiziell noch immer nicht geklärt.

Bei Rüstungsexporten spielt die Menschenrechtslage im Empfängerland offenbar keine Rolle. So spricht vieles dafür, dass das G36 auf dem Weltmarkt zum Sturmgewehr Nummer 1 aufsteigen wird.

Angesichts der Wirtschaftskrise setzt die Bundesregierung auf Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Vor wenigen Wochen bewilligte die Bundesregierung weitere Waffenbeschaffungen in Höhe von 6 Milliarden Euro. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla stellte vor zwei Tagen in der ARD die Frage: »Wir können wir Wachstum generieren?«

Unsere Antwort lautet: [] Nicht mit Waffenproduktion und nicht mit Rüstungsexporten!

Dieser menschenverachtenden Politik müssen wir aktiv entgegentreten. Ansatzpunkte gibt es genug: für Parteien die Umsetzung einer konsequenten Friedens- und Abrüstungspolitik, für die Friedensbewegung beispielsweise mit den Kampagnen »Ich wähle atomwaffenfrei!«, »Wir kaufen keinen Mercedes!« (siehe www.wir-kaufen-keinen-mercedes.de) und »60 Jahre Heckler & Koch: Kein Grund zum Feiern!« (siehe www.rib-ev.de).

Die Friedensbewegung fordert von allen politischen Parteien:
[] Senken Sie den Rüstungshaushalt jährlich um mindestens fünf Prozent!
[] Stoppen sie alle Rüstungsexporte!
[] Verwenden Sie das eingesparte Geld für den Erhalt und den Ausbau des Sozialstaates, des Bildungssystems und der Entwicklungshilfe!

Bliebe mir mehr Zeit, würde ich gerne weitere wichtige Themen ansprechen. Aktuell sei genannt: Die notwendige Abschaffung der Kriegssteuer in Deutschland! Die Verwirklichung des Asyls für Kriegsflüchtlinge und Deserteure - denken wir an André Shepard! Für den Einsatz deutscher Foltergeräte und G3-Gewehre gegen die Opposition im Iran – und die strafrechtliche Verfolgung der Exporteure dieser Mordwerkzeuge aus Deutschland!

Die LINKE mit ihrem Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine fordere ich auf:
[] Lassen Sie sich auch in den kommenden vier Jahren im Bundestag nicht von der Macht des militärisch-industriell-politischen Komplexes vereinnahmen!
[] Verfolgen Sie eine konsequent pazifistische und antimilitaristische Politik!

Vielen Dank

Jürgen Grässlin
ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.), Sprecher im Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD). Er publizierte eine Vielzahl von Büchern über die Bundeswehr und die Auto- und Rüstungsindustrie.
Kontakt: j.graesslin@gmx.de