Rede »Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten
Warum wir heute – mehr denn je – aktiv für unsere
humanistischen Werte eintreten müssen«
Redebeitrag von Jürgen Grässlin anlässlich der Verleihung
des Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreises
am Sonntag, den 22. November 2015,
im Stadtteilzentrum Vauban in Freiburg



Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten
Warum wir heute – mehr denn je – aktiv für unsere
humanistischen Werte eintreten müssen

Redebeitrag von Jürgen Grässlin anlässlich der Verleihung
des Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreises
am Sonntag, den 22. November 2015,
im Stadtteilzentrum Vauban in Freiburg

Liebe Helga Sprenger, lieber Uwe Baumann, liebe Stiftungsräte der INTA-Stiftung,
liebe Barbara Davids, liebe Ursula Sladek, lieber Gernot Erler,
lieber Bürgermeister von Kirchbach,
liebe Mitglieder meiner Familie,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

mit großer Freude habe ich von Helga Sprenger erfahren, dass Barbara Davids – für ihre engagierte und überzeugende Flüchtlingsarbeit mit jungen Menschen – und ich zu den diesjährigen Trägern des Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreises berufen worden sind. Helga Sprenger und ihr leider verstorbener Mann Werner haben sich in vorbildlicher Weise für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt. Umso mehr freut mich der Zuspruch zu Ihrem gemeinsamen Friedenspreis, dessen Verleihung ich als große Ehre empfinde. Herzlichen Dank dafür, Ihnen liebe Frau Sprenger und der Jury.

Die Preisverleihung erfolgt an einem für die Freiburger Grünen, für die Freiburger Friedensbewegung und für mich persönlich geschichtsträchtigen Ort. Hier haben wir am 16. September 1990, vor fast genau einem Vierteljahrhundert demonstriert. Damals war das Vauban Sitz der gleichnamigen französischen Militärkaserne. Ich könnte mir heute keinen Ort für einen Friedenspreis vorstellen!

Am Abend des besagten Tages führten wir auf der Schwarzwaldstraße eine gewaltfreie Blockade durch. Als damaliges Mitglied des Landesvorstands der Partei habe ich mich an der Blockade gegen das Großmanöver »Protée« beteiligt und wurde von zwei Polizisten weggetragen – worüber die Badische Zeitung auf der Titelseite des Freiburger Teils in Text und Bild berichtete. In martialischen Worten schrieb die BZ damals: »Mit Verspätung in die Schlacht gezogen. Grüne blockieren Militärkonvoi«.

Wie die Zeiten sich ändern. Die französischen Streitkräfte sind abgezogen, heute ist das Vauban ein ökologisches Vorzeigeviertel – auch dank der Grünen. Eben diese Partei stellt mittlerweile den Oberbürgermeister Freiburgs. Und sie lässt Flüchtlinge in vermeintlich »sichere« Herkunftsländer durch Polizeikräfte abschieben. Dass diese Herkunftsländer oftmals alles andere als sicher sind, ist durch menschliche Schicksale publik geworden. Längst habe ich die Partei verlassen und bin seither ein zufriedener Bewegungsaktivist, ein sozialer Netzwerker und Buchautor.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, wir leben in politisch rauen und demokratisch ruinösen Zeiten. Die jüngst erfolgten tödlichen Terroranschläge islamistischer Fanatiker in Paris und in Bamako schüren die Angst vor weiterem Terror, auch in Europa. Sie lassen Politikerinnen und Politiker neue Sicherheits- und Hochrüstungsmaßnahmen einleiten und die ehedem weit fortgeschrittene Errichtung der Festung Europa durch Grenzsicherungszäune umsetzen.

Einer der maßgeblichen Profiteure des Flüchtlingselends ist der Airbus-Konzern. Der deutsch-französische Rüstungsriese errichtet derzeit einen tausende Kilometer langen drohnenüberwachten High-Tech-Grenzsicherungszaun um Saudi-Arabien. Ein sogenanntes »befreundetes« Land, in dem das wahhabitische Herrscherhaus Oppositionelle und Christen verfolgt, foltert und öffentlich exekutiert. Airbus möchte an den Südgrenzen der Maghreb-Staaten und in Osteuropa Abertausende Kilometer Grenzsicherungsanlagen bauen. Die Entwicklung dieser leider sehr effizienten Flüchtlingsabwehr erfolgte vor unserer Haustüre: bei Airbus/EADS in Immenstaat am Bodensee.

Nach dem erfreulich weit vorangeschrittenen Einigungsprozess galt das fast gänzlich befriedete Europa als sicherer Schutzbereich für Hunderttausende von Flüchtlingen. Viele dieser Menschen, die auch Deutschland unter Einsatz ihres Lebens auf dem See- oder Landweg erreichen, kommen zurzeit aus den Kriegsgebieten Syrien, Afghanistan und dem Irak, aus dem Bürgerkriegsland Somalia und aus Pakistan. In der Vergangenheit kamen Abertausende von Flüchtlingen aus Ägypten, Libyen und der Türkei, genauer gesagt aus Türkisch-Kurdistan zu uns nach Deutschland.

Früher wie heute präsentieren sich deutsche Kanzler und Minister auf der politischen Weltbühne als engagierte Streiter für Frieden und Gerechtigkeit, für Humanität und die Wahrung der Menschenrechte. In diesem Sinne verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel in dankenswerter Weise klaren Worten zur unbegrenzten Aufnahme von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten: »Wir schaffen das!«

Die Fluchtgründe sind verschieden. Und doch verschweigt die Kanzlerin, dass die derzeitige Bundesregierung und deren Vorgängerregierungen massiv zur Schaffung von Fluchtursachen beitragen bzw. beitrugen – allen voran durch den hemmungslosen Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten, ja selbst an Diktaturen.

Sigmar Gabriel diese Politik skrupelloser Waffentransfers fortsetzt. Hier bitte ich dich, lieber Gernot Erler, deinen erheblichen Einfluss geltend zu machen, damit Bundeswirtschaftsminister Gabriel Altverträge kündigt und keine neuen unterzeichnet. Zu einem Totensonntag gehört auch der Verweis auf die mehr als zwei Millionen Toten, die allein durch Heckler&Koch-Waffen erschossen wurden. Zuallererst muss der Export von Kleinwaffen – die tödlichste aller Waffengattungen – und von Munition völlig verboten werden.

Mit deutschen Waffen werden repressive und autokratische Regime stabilisiert. Mit deutschen Waffen werden die Demokratiebewegungen in zahlreichen Ländern unterdrückt. Mit deutschen Waffen wird geschossen und gemordet. Empfängerländer deutscher Kriegswaffen sind in der Gegenwart u.a. Syrien, der Irak, Ägypten, Pakistan, Afghanistan und die Türkei. In der Vergangenheit waren es auch der Iran und Somalia – um nur einige ausgewählte Beispiele zu nennen. Länder, aus denen viele Flüchtlinge zu uns kommen.

Und so ist die Wahrheit eine bittere: Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. In genau dieser Situation befindet sich Deutschland inmitten dieser Dekade der Flüchtlingszuwanderung. Die Dominoeffekte der in vielen Staaten fehlgesteuerten Politik drohen einen politischen Flächenbrand auszulösen. Rechtsgerichtete Regierungen, die die Flüchtlingsabwehr propagieren, gewinnen europaweit Wahlen. Organisiert von der Grenzschutzagentur Frontex schottet sich Europa zusehends ab. Flüchtlinge werden an den Außengrenzen abgefangen, das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt.

In Deutschland brennen schon heute Flüchtlingsheime. In Ostdeutschland schauen Polizisten vielfach weg, wenn der rassistische Mob wütet. Steht zu befürchten, dass die demokratie- und flüchtlingsfeindliche AFD in die Parlamente einziehen wird. Was also wird bleiben vom abendländisch geprägten Europa, das sich dem Erhalt des Friedens verpflichtet hat?

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, sehr geehrte Damen und Herren, jetzt schlägt die Stunde der standhaften, aufrichtigen und zivilcouragierten Demokratinnen und Demokraten. Deutschland im Winter 2015 fordert von uns mehr Mut und klarere Bekenntnisse als bisher – wo immer Schwache und Notleidende schikaniert, bedroht und verfolgt werden. Lasst uns gemeinsam kämpfen mit den Mitteln der Gewaltfreiheit für Demokratie, für Menschenrechte, für Frieden – für ein Deutschland der christlichen und humanistischen Werte.

Mit Friedensfreunden habe ich im Jahr 2011 die bundesweite Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« gegründet. Unser Motto lautet: »Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen!« Für genau diese Friedenspolitik stehe ich mit all meiner Kraft und Lebensfreude.

Liebe Frau Sprenger, liebe Mitglieder der INTA-Stiftung, dass Sie in diesem Jahr gleich zwei Preisträger/innen küren, die sich in ihrer Friedensarbeit auf unterschiedliche Weise mit vergleichbarer Zielsetzung aktiv für Flüchtlinge eintreten, setzt ein klares Zeichen. Auch dafür danke ich Ihnen von Herzen.

Jürgen Grässlin