Internetbericht
»Franziskus Klage gegen einen mörderischen Kapitalismus:
‚Diese Wirtschaft tötet'. Christen und religiöse Heuchler«
in Neue Rheinische Zeitung.de
vom 12.01.2014



Globales

Franziskus Klage gegen einen mörderischen Kapitalismus:
»Diese Wirtschaft tötet«

Christen und religiöse Heuchler

Von Hans Fricke

Wir alle sind täglich Zeugen von Christen, deren Erklärungen und Handeln im Sinne Jesus sind und solchen, die sich zwar Christen nennen und immer fromm tun, deren Erklärungen aber heuchlerisch sind und deren Handeln den Geboten und Mahnungen von Jesus widerspricht. An die Adresse der Letztgenannten, die Scheinheiligen, richtete Jesus folgende Worte: »Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer. Ihr Heuchler! Denn ihr schließet das Himmelreich zu vor den Menschen! Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, lasset Ihr nicht hineingehen.« (1)

[Buchcover Papst Franziskus: »Die Freude des Evangeliums«]

Mit seinem programmatischen Lehrschreiben »Evangelii Gaudium – die Freude des Evangeliums« (EG) vom 24.November 2013 wendet Papst Franziskus sich mit deutlichen Worten gegen die Missachtung des Evangeliums in unserer Zeit. Er selbst lebt bescheiden und ist offen für alle, die seine Nähe suchen, besonders aber für die Armen, Notleidenden und Ausgestoßenen: »Bedingungen, die zur Verelendung führen, müssen beseitigt werden. Sonst bleibt der katholische Glaube billige Vertröstung«.(2)

Der von ihm gewählte Papstname Franziskus erweist sich als Teil seines Programms. Von Franz von Assisi ist der Ausspruch bekannt: »Wer keinen Besitz hat, braucht auch keine Waffen, um ihn zu verteidigen«. Mit dieser Aussage hatte der Begründer des Franziskanerordens schon im Mittelalter die tödliche Logik des Feudalismus und des später langsam heraufziehenden Kapitalismus entlarvt. »Er legte damit offen, dass Reichtumsbildung und Aufrüstung immer Hand in Hand gehen. Die Orientierung des neuen Papstes an Franz von Assisi hat also nichts mit rührseliger Frömmigkeit oder Folklore, sehr wohl aber mit Armut und dem Schicksal der Armen zu tun. Dies geht aus vielen seiner früheren Stellungnahmen und gerade auch der letzten zehn Monate hervor«, kann man in einem Artikel der linken Zeitung »junge Welt« dazu lesen. (3)

Mit eindeutigen zentralen Aussagen zur Kapitalismuskritik unter der prägnanten Überschrift »Diese Wirtschaft tötet« schleudert Franziskus dem tödlichen System ein vierfaches Nein entgegen:
Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung;
Nein zur neuen Vergötterung des Geldes;
Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen;
Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt (4)

Mit seiner oft zitierten Metapher, mit der er sich nach Bekanntgabe seiner Wahl vorstellte: »Ihr habt mich hergeholt vom Ende der Welt« (Buenos Aires), hatte er das Feuerland (Tierra del fuego) - das Ende der bewohnten Welt - im Blick. Damit lässt Franziskus an die Entstehung des Namens denken: Die Indigenas zündeten Dauerfeuer gegen die fortwährende bedrohliche Kälte an. Der Papst will damit sagen, dass er gegen die Kälte einer zerstörerischen kapitalistischen Welt permanent Feuer anzündet und uns alle auch dazu animiert.

»Sein neues Lehrschreiben beweist, dass er nicht nur die Dependenztheorie (5) verstanden hat, sondern dass seine Kapitalismusanalyse bis zum Geheimnis des Fetischcharakters von Ware und Kapital vorgedrungen ist (vergl. EG Kapitel II, 55 sowie sein Schreiben »Wider den Fetischcharakter des Geldes« vom 16.05.2013).«

Das war den Päpsten von Leo XIII (Enzyklika »Rerum novarum« 1891) bis Johannes Paul II (Enzyklika »Laborem exercens«, 1981) in ihrer Kapitalismuskritik nie gelungen. Sie hinderte ein tiefsitzender Antikommunismus daran, die Kategorien von Karl Marx anzuwenden. Bis heute verschweigen die Vertreter der katholischen Soziallehre – die in dem Lehrschreiben zwar erwähnt, aber nach der Meinung von Kardinal Karl Lehmann in »Zeit Online« vom 5. Dezember 2013 vom neuen Papst nicht explizit gewürdigt wird – keineswegs die sogenannten Auswüchse des Kapitalismus und sein Versagen. Sie befürworten daher die »Zähmung des Raubtiers«, sehen aber nicht, dass dies auf Dauer nicht gelingen kann, weil sie dem Wesen der kapitalistischen Wirtschaftsweise widerspricht. Der neue Papst bringt es hingegen auf den Punkt: »Diese Wirtschaft tötet«.

Es geht Bergoglio (weltlicher Name des Papstes) um mehr als die traditionelle Betonung des Vorrangs der Arbeit vor dem Kapital und die Ablehnung von Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterschaft. Es geht ihm darum, dass große Teile der Weltbevölkerung gemäß der Systemlogik, und nicht durch einen bedauerlichen Unfall, vom gemeinsamen Reichtum ausgeschlossen werden und damit ihre Lebensgrundlage und Existenz verlieren. Sein Besuch in Lampedusa stellte dieses Bewusstsein nachdrücklich unter Beweis – wobei er zusätzlich noch eine Form der Globalisierung, nämlich, die »der Gleichgültigkeit« geißelte.

Weitere Erkenntnisse des Papstes und weitreichende Folgerungen aus seiner Kapitalismuskritik bestehen laut Kuno Füssel und Michael Ramminger (6) in folgendem:
Ausbeutung und ungleiche Verteilung des Reichtums auf der Welt stellen eine der tiefsten Ursachen der Gewalt dar;
Kapitalistische Wirtschaft funktioniert nach dem Gesetz der bedingungslosen Konkurrenz; sie kurbelt permanent die Entwicklung des militärisch-technologischen Komplexes an; sie
inszeniert eine Wegwerfgesellschaft, in der nicht nur Lebensmittel, sondern sogar Menschen wie Müll behandelt werden;
Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulationen verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen lassen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden.
Auch die Kirche kann ihre eigenen nicht lösen, wenn sie nicht für die Bewältigung der genannten Probleme kämpft. Diese Verknüpfung müsste die gesamte pastoral-diakonische Praxis der Kirche umkrempeln;
Das Kapitalverhältnis aktiviert das latente Laster der Gier und bringt es zu voller Blüte. Selbst wenn es die Gier des Menschen nach Macht und Reichtum nicht gäbe, würde sich das Wesen des Kapitalismus nicht ändern;
Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums (EG. Kapitel I, 48). Der Kampf gegen die Armut ist einer um die Subjektwerdung der Armen. Diese sind nicht das Objekt rührseligen Mitleids und karitativer Betreuung;

In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa vom 14.Dezember 2013 räumte der Papst mit der weit verbreiteten Illusion auf, dass ein florierender Kapitalismus auch den Armen helfen würde: »Das Versprechen lautet: Sobald das Glas voll ist, würde es überlaufen und den Armen nützen. In Wirklichkeit aber geschieht etwas ganz anderes: Sobald das Glas voll ist, wird das Gefäß auf irgendeine magische Weise größer. Daher springt für die Armen nie etwas heraus.«

Während Papst Franziskus in seiner Kapitalismuskritik sagt: »Diese Wirtschaft tötet«, widersprechen ihm die Mächtigen der Bundesrepublik Deutschland und anderer kapitalistischer Staaten und erklären ihr Wirtschaftssystem zum Non plus ultra, zum Ideal, zu etwas Unübertrefflichen und setzen seinem vierfachen NEIN ihr vierfaches JA entgegen. Der Inhalt ihres Tuns ist der »Tanz ums goldene Kalb« als Sinnbild für die Verehrung von Reichtum und Macht.

Ihr Streben gilt der ständigen Vermehrung ihres Reichtums auf Kosten der Besitzlosen, auch »Verteilung von unten nach oben« genannt, wozu sie die von ihnen eingesetzten Regierungen verwenden. Die Folge dieses Strebens ist, dass die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinigen, wogegen die untere Hälfte der Haushalte nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens verfügt.

Dieses angeblich ideale kapitalistische Wirtschaftssystem bringt, wie die vergangenen zwei Jahrzehnte besonders eindrucksvoll zeigen, eine beschämende Armut, besonders der Alten und der Kinder, hervor. Arbeitslosigkeit, rettungslos verschuldete Familien, Perspektivlosigkeit für junge Menschen, Wohnungsnot, Zwangsräumungen, Obdachlosigkeit, Armenspeisung für Obdachlose und Hartz-IV-Empfänger sowie andere die Würde beleidigende und die Existenz von Millionen Menschen vernichtende Erscheinungen des Kapitalismus prägen seit Jahren das Bild unzähliger Städte und Gemeinden. Das ist umso beschämender, als Deutschland das reichste Land Europas und fünftreichste Land der Welt mit einem Privatvermögen von fünf Billionen Euro ist.

Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Anzahl der Selbstmorde in Deutschland. Nach 2010 stiegen sie wieder an. Entsprechend den Angaben des Statistischen Bundesamtes nahmen sich 2009 9.571 Menschen das Leben, 120 mehr als im Vorjahr. 2010 waren es 10.021 und 2011 10.144. Zuletzt war auch in den Medien häufiger von steigenden Selbstmordraten in den Staaten der Eurozone die Rede.

Statt Überwindung der Armut werden nachweislich Jahr für Jahr die Reichen mit aktiver Hilfe ihres Staates immer reicher und die Armen immer ärmer. Wer schon hat, dem wird noch gegeben. Kaschiert wird diese Entwicklung durch falsche Angaben in den alljährlichen Armutsberichten der Regierung und Beschönigen bzw. Verschweigen der konkreten Lage durch die Medien.

Die Hoffnung vieler Menschen, die Lage werde sich durch die große Koalition verbessern, erweist sich bereits jetzt als Trugschluss. Die neue Bundesregierung ist gerade wenige Wochen im Amt, da fliegen schon die Fetzen. Bei Themen wie Armutszuwanderung, Mindestlohn und Rente tun sich zwischen Union und SPD Gräben auf.

Die vor der jüngsten Bundestagswahl von der Merkel-Regierung schon bis zum Überdruss strapazierten wirtschaftlichen Ziele werden nach dem Motto: »Weiter so!« gebetsmühlenartig wiederholt. Nicht Überwindung der Armut mit Hilfe wirksamer Korrekturen auf dem Gebiet der Sozialpolitik heißt eine zentrale Forderung an die große Koalition, sondern wiederum Leistung, Wachstum, Innovation, Wohlstand, wobei die Ergebnisse dieser Wirtschaftspolitik vom Papst in besagtem Interview mit der italienischen Zeitung La Stampa treffend gekennzeichnet wurden.

Parallel zur oben beschriebenen Entwicklung aktiviert, wie oben bereits betont, das Kapitalverhältnis das latente Laster der Gier und bringt es zu voller Blüte. Betrug, Bestechung, Korruption, Steuerhinterziehung, Vorteilsnahme bis hoch in Regierungskreise entwickeln sich in einem erschreckendem Ausmaß. Dabei spielt der Waffenexport eine herausragende Rolle. Deutschland ist der weltweit drittgrößte Waffenexporteur und schreckt vor Lieferungen an verbrecherische Regime und Diktatoren nicht zurück.

Gegenwärtig erregt ein Bestechungsskandal im Zusammenhang mit deutschen Waffenexporten nach Griechenland die deutsche und griechische Öffentlichkeit. Der frühere Spitzenbeamte des griechischen Verteidigungsministeriums Antonis Kantas hat nach eigener Darstellung Millionen an Schmiergeldern erhalten – auch von deutschen Rüstungskonzernen. Dabei geht es u.a. um den Kauf von 170 »Leopard-2«-Panzern im Gesamtwert von 1,7 Milliarden Euro. Kantas räumte ein, Bestechungsgelder in Höhe von rund 3,2 Millionen Euro aus Deutschland bekommen zu haben. Diese Gelder sollen von den Rüstungsfirmen HDW/Ferrostaal, Atlas Elektronik und Krauss-Maffei Wegmann (KMW) geflossen sein. Erwartungsgemäß dementierte das Unternehmen KMW, für das Panzergeschäft Schmiergeld gezahlt zu haben.

In einem Leserbrief zur »junge Welt« vom 17.Dezember: »Waffenlobby im Kanzleramt« schrieb Ralf Böhm am 28./29.12.2013: »Im Jahr 2011 warb unsere Bundeskanzlerin und Pfarrerstochter Angela Merkel persönlich in Indien für deutsche Kampfjets, bevor sie den evangelischen Kirchentag besuchte, um dort als bekennende Protestantin zu erzählen, wie wichtig ihr die christlichen Werte zur Orientierung sind.«

Jürgen Grässlin hat unzählige Waffenexportskandale aufgedeckt. In seinem »Schwarzbuch Waffenhandel« (7) klagt er deutsche Politiker an. Er deckt auf, wer die Profiteure dieser Kriegswirtschaft sind und nennt Industrieunternehmen beim Namen. Er zeigt, wer in der Politik die Exporte genehmigt und wie die Banken alles finanzieren. Hochbrisante Fakten, profund recherchiert – ein Augenöffner dazu, wie tief unser Land in die globale Tötungsmaschinerie verstrickt ist. Grässlin nennt Angela Merkel eine »Marketenderin der Todeswaffen«, Frank-Walter Steinmeier ist für ihn ein »Rekordhalter bei Kleinwaffenexporten«, Guido Westerwelle der »Türöffner auch für die deutsche Rüstungswirtschaft«, der Heckler-&-Koch-Hauptinvestor Andreas Heeschen ein »Manager der Mortalität (Med. Sterblichkeitsziffer).

Grässlin hat Opfer von deutschen Sturmgewehren in Somalia und den Kurdengebieten in der Türkei besucht. Er kennt Geschichten von Massakern und Menschenrechtsverletzungen, die so brutal sind, dass sie in keinem Film gezeigt werden. So schreibt er, dass durch Heckler-&-Koch-Waffen mindestens zwei Millionen Mensch ums Leben gekommen sind. Eine Zahl, die sich nicht wirklich belegen lässt. Widerlegen können sie seine Gegner aber auch nicht. Er ist Ansprechpartner für renommierte Friedensforscher und Wissenschaftler, wenn es um deutsche Kleinwaffen geht. Sein neuestes Projekt ist die »Aktion Aufschrei«, mit der er und andere Rüstungsgegner aus ganz Deutschland Waffenexporte verhindern wollen. Margot Käßmann ist das Gesicht der Kampagne, Grässlin ihr Motor.

So, wie CDU und CSU, die beide für sich in Anspruch nehmen, christliche Parteien und damit dem Evangelium verpflichtet zu sein, sich seit Jahren mit Händen und Füßen gegen eine Lohn- und Sozialpolitik wehren, die es auch den sozial Schwachen erlaubt, ein Leben in Würde zu führen, so ist auch ihre angebliche Friedenspolitik infolge ihrer Waffenexporte, mit denen sie weltweit Kriege und Gewalt unterstützen, unglaubhaft.

Auch die vom CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer - offenbar mit Blick auf die bevorstehende Kommunalwahl in Bayern und die Europa-Wahl im Mai ausgelöste Debatte, der mit seinem Spruch »Wer betrügt, der fliegt« die ab 2014 zu erwartenden rumänischen und bulgarischen Zuwanderer unter Generalverdacht stellt -, ist nicht das, was unter einer europäischen, sachlichen und menschenorientierten Haltung zu verstehen ist. Ihre Stammtischparole, die den Eindruck erweckt, als wolle die CSU ihre reiche Festung Bayern schließen, hat inzwischen Unverständnis und breiten Widerstand, auch der Wirtschaft, hervorgerufen.

Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Schluss, die Zahlen würden es gegenwärtig nicht rechtfertigen, diese Zuwanderung pauschal als »Armutszuwanderung« zu qualifizieren und entlarvt damit die Phrasen der Christsozialen. Die LINKE-Abgeordnete Ulla Jelpke nennt die vermeintliche Armutsmigration einen populistischen Popanz ohne Substanz, und SPD-Staatsminister Michael Roth warf Seehofer vor, mit »dummen Parolen« Stimmung zu machen. Die Sozialdemokraten mögen sich über die CSU aufregen – aber erneut in die Regierungsverantwortung gehievt hat diese Bayrische Rechtsaußen-Regionalpartei die SPD.

Solidarität verlangt nach echter Hilfe. Das reiche Deutschland kann und muss mehr tun – nicht für marode Banken, für die die Merkel-Regierung unser Land rettungslos verschuldet, sondern für die Opfer imperialistischer und neokolonialer Politik.

Die deutsche Bundeskanzlerin und Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union, Angela Merkel, - eine Waffenexport -Lobbyistin - und der bayrische Ministerpräsident und Vorsitzende der Christlich Sozialen Union, Horst Seehofer - ein Stimmungsmacher gegen »Armutsmigration« - unterstreichen wie recht der Papst mit seiner harten Kapitalismuskritik hat und wie dringend notwendig sie ist.

»Am Anfang war – nein: Am Anfang ist das Wort«, heißt es im Kommentar von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Dezember. »Das Jahr 2013 war ein Jahr der guten, schöpferischen Worte. Papst Franziskus hat solche Worte gesprochen...Er hat, als er auf Lampedusa der ertrunkenen Flüchtlinge gedachte, vor der ' Globalisierung der Gleichgültigkeit ' und einer Gewöhnung an das Leiden des Nächsten gewarnt und gefragt: 'Wer hat über die Menschen geweint, die in den Boten waren?' Franziskus hat die Klage über das Flüchtlingselend eingebettet in seine große Klage gegen einen mörderischen Kapitalismus.«

Diese Klage enthält starke Denkanstöße, insbesondere für alle Christen, die einer christlichen Partei angehören. Deshalb ist es kein Zufall, dass die sogenannten christlichen Parteien in unserem Land sich einer Stellungnahme zum päpstlichen Lehrschreiben bisher verweigerten. Welchen anderen Grund hat das als den, dass sie sich vom Oberhaupt der katholischen Kirche bei ihrer jahrzehntelangen imperialistischen Politik zu Lasten der Lohnabhängigen und Armen und bei ihrer Irreführung und Verdummung der Bevölkerung ertappt und in dieser entlarvenden Form öffentlich überführt fühlen?

Dass die katholische Kirche in Deutschland mehr als einen Monat für eine erste öffentliche Reaktion auf die programmatische Botschaft von Papst Franziskus gebraucht hat, lässt darauf schließen, dass ihre Bischöfe sprachlos waren. Umso erfreulicher ist, dass der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, Silvester die Christen zu mehr Einmischung und Einspruch gegen Ungerechtigkeit ermuntert hat. Die Kirche solle dem Vorbild von Papst Franziskus folgen und das Gespräch auch mit Kritikern und Zweiflern suchen. Herr Zollitsch muss sich dennoch fragen lassen, warum er, der bereits 10 Jahre Kardinal ist, und seine Amtsbrüder auf einen Papst aus Argentinien gewartet haben, um zu erkennen und zu verhindern, dass die deutsche Bundesregierung unter Missachtung des Evangeliums in eine total falsche Richtung fährt, zumal der Vorgänger von Franziskus ein deutscher Papst war.

Aus der Geschichte wissen wir Deutschen nur allzu gut, dass mit Worten Heil wie Unheil angefangen werden können. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die aufrüttelnden Worte von Papst Franziskus alle Bürger erreichen und ein Umdenken zum Guten, zu Menschlichkeit, Ehrlichkeit und tätiger Solidarität bewirken. »Herausforderungen existieren, um überwunden zu werden«, sagt der Papst. Packen wir es an, überwinden wir sie zum Nutzen der Menschheit. (PK)

(1) Matthäus, Kapitel 23, Vers 1
(2) Papst Franziskus im Jugendgefängnis in Rom, 28.03.2013
(3) Kuno Füssel und Michael Ramminger »Dem Kapital an die Wurzel«, junge Welt 28/29.12.2013
(4) Nr. 53-60, siehe http://kurzlink.de/evangelii
(5) Dependenztheorie bezeichnet eine ursprünglich aus Lateinamerika stammende Entwicklungstheorie, die die hierarchischen Abhängigkeiten (Dependenzen) zwischen Metropolen (industrieller Westen) und Peripherien (Entwicklungsländer) untersucht
(6) Kuno Füssel und Michael Ramminger, ebenda
(7) Jürgen Grässlin, »Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient«, Taschenbuch, Klappenbroschur, 624 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-453-60237-3

Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches »Eine feine Gesellschaft; Jubiläumsjahre und ihre Tücken – 1949 bis 2010«, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2

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